Des „Jonas“-Einspruchs dritter Teil Ein Weniges vom Gehen

Sehr geehrtes Referat 24,
möglicherweise hat in Ihren präsidialen Regierungskammern jemand Lust, ein weiteres Kleinwerk des dichtenden Oberjustizrats Karl Mayer aus Tübingen zu lesen. Keine Angst, heute ist nur ein Zweizeiler. Mayer ist für mich ein Meister des Zweizeilers.

Der Morgenwanderer

„Was blickt dort durch das grüne Reis?
Ein Wanderer, hemdärmelweiß.“

Eine sonderbare Beobachtung des unermüdlichen Wanderers. Wie Sie sicher gerne zugeben werden.

Wie versprochen, schiebe ich hier nämlich, als dritten Teil meines Einspruchs wider die unsittlichen Pläne zur Landschaftsermordung durch die Endelbergtrasse, ein “Extrablättchen“ über das Gehen, über das ich auf meinen Strecken, die ich als radelnder Lokalreporter im ganzen Steinlachtal durchmesse, auch während des Fahrens nachdenke.

Welches Geheimnis verbirgt das Gehen? Wo soll das Gehen hingehen? Können wir im Gang der Dinge zum Kern der Dinge vordringen? Gehört das Denken zum Gehen? Oder umgekehrt? Wie geht man seines Weges? Wo finden wir den Übergang?

Das „Taschenbuch für Fußreisende“ teilte 1843 mit:
„Das Fußwandern ist eine Kunst. Auf keine andere Weise kommt man mit der ganzen Natur in so unausgesetzte und unmittelbare Berührung, dem Himmel mit seinen Wolkenbildungen, und Lufterscheinungen, den verschiedenen Bildungen und Gestaltungen der Erdrinde und allem, was auf und über ihr befindlich ist.

Karl Julius Weber (1767-1832), der philosophierende Schriftsteller aus dem hohenlohischen Langenburg, meinte in seiner zweiten Lebenshälfte, als er hübsch bei seinen vielen tausend Büchern blieb: „Die schönste Rede, die man unsern Zeiten halten kann, wäre: Über die Kunst, zu Hause zu bleiben.“ Dabei hat er neben seinem Hauptwerk vom „lachenden Demonkrit“ schöne Reisebücher vorgelegt, etwa die „Reise durch das Königreich Württemberg“. Denn er war „ein tüchtiger Fußgänger“ gewesen, der viele Beiträge zur „Ehre des Fußgehens“ beitrug. Fahrrad kannte er nicht, Kutsche mochte er nicht. Nein, „zu Fuß bin ich in die Welt gekommen, zu Fuß viel herumgelaufen in dieser schönen Welt, und gäbe viel darum, wenn ich sie auch wieder so verlassen, und zu Fuß nach einem andern Stern wandern könnte, ohne die bedenkliche Siesta im Grabe!“
Sie sollten einmal nachlesen, was Weber auch über das Steinlachtal, jenes Tal, das mit den Plänen, die das Regierungspräsidium nach Jahrzehnten vorlegt, einer ewigen Zerschneidungsverdammnis unterworfen ist, sagt. Ich könnte dazu sagen: meine Herren Trassenplanverwaltungsaktuare, über Ihre Vorhaben kann ich nur den Kopf schütteln. Doch beim Kopfschütteln werde ich es keineswegs belassen.

Wer will denn durch das immer noch wundersam schöne Gebiet zwischen Ofterdinger Friedhof und Nehrener Ehrenberg gehen, wenn dort die Lastwagen donnern?



Goethe sagte übrigens seinerzeit, als von einem SUV mit Bullenfänger vorne weit und breit nichts zu sehen war: „Es wird dem Fußgänger schwindlig, der einen Mann mit rasselnder Eile daherfahren sieht.“ Es steht im „Egmont“, den ich Ihre Anstalt ebenfalls zu lesen auffordere.

Und sein Tübinger Verehrer, Professor Friedrich Theodor Vischer (18ß7- 1880) meint ähnlich: „Alles schnelle Fahren in Städten ist eigentlich Unfug, Unverschämtheit gegen die Fußgänger, Beschämung, Beleidigung. Wäre ich mächtiger Tyrann, in meiner Stadt dürfte nicht im Trab gefahren und geritten werden.“ Auch dieser Philosoph kannte keine Mercedes-S-Klasse, hat nie einen überdimensionierten Pickup zu Gesicht bekommen.

Nein, natürlich, “die Landschaft erobert man mit den Schuhsohlen, nicht mit den Autoreifen.” Wie der olle Georges Duhamel schrieb, der französische Schriftsteller (1884 – 1966), Sie wissen schon, der so unermesslich viel Bücher verfasste. Lesen Sie ruhig sein Gesamtwerk durch, das dauert eine Weile. Ich selber will die Landschaft gar nicht erobern. Aber im Prinzip hat der Mann ja recht.

Doch auch eine mich eher bedenkliche stimmende Erscheinung wie der ehemalige Politiker Richard von Weizsäcker, der sich selbst als Bundespräsident erzwang, kann hier aufgeführt werden: „Gerade im Zeitalter der Massengesellschaft ist es wichtig, dass der Mensch durch das Wandern erst wieder tauglich zum Leben wird.“ Da hatte der Mann mal recht.

Wenn es über das Gehen geht, darf selbstredend der selige Thomas Bernhard, der österreichische Schriftsteller (1931 –1989) nicht fehlen: „Gehen und Denken sind zwei durchaus gleiche Begriffe und wir können ohne weiteres sagen (und behaupten), dass der, welcher geht und also der, welcher beispielsweise vorzüglich geht, auch vorzüglich denkt, wie der, der denkt und also auch vorzüglich denkt, auch vorzüglich geht. Wenn wir einen Gehenden genau beobachten, wissen wir auch, wie er denkt. Wenn wir einen Denkenden genau beobachten, wissen wir auch, wie er geht.”


Apropos Denken. In dieser Angelegenheit stimme ich dem Nehrener Biologen Friedhelm Göltenboth zu, der meinte, wer „das bisschen Wohlfühlparadies“, das im Steinlachtal noch übrig sei, dermaßen filetiere, der stelle bei seinen Planungen bloß „nachhaltiges Nichtnachdenken“ unter Beweis.


Genug nun für heute. Zum Abschluss noch ein kleines, soeben entstandenes

Geh-Gedicht

Nur wo du zu Fuß warst,
bist du auch wirklich gewesen
Das sagte Goethe

Nur wo ich ein Fuß war, konnte ich
dem Weg wirklich die Hand geben
Das sagte ich

Denn ich bin auch
ein Anhänger der Doppeltgängerei.
„Doppeltgänger“, so nennt Jean Paul
„die Leute, die sich selber sehen.“

Deshalb eine Warnung
von uns beiden:
Die Planungsbehörde will uns
der Landschaft, in der wir doppeltgehen,
berauben.

Sie sollte sich das
gut überlegen.




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