Warnung und Editorial: Dieser Text ist bissig. Aber: er bedient sich in seiner Bissigkeit bekannter und häufig genutzter Elemente, die alle in einer Verbindung zu Goethe stehen, der übrigens auch schon über den „schlechten Weg geschimpft hat! (3)
… als ich vor fünfzehn Jahren nach Nehren zog, blutete mir das Herz(4). Der Endelberg war über Ewigkeiten eine unüberwindbare Hürde und die weiten Felder zu meiner Freundin Tina nach Nehren ein unendliches Wegstück. Mein Ofterdinger Nachbar sagte zu meinem Umzug, ich täte ja gerade so als zöge ich ins feindliche Ausland. Mittlerweile kommt es mir so vor, als wäre es andersherum.
Mein drittes Heimatdorf, das Dorf der Äckerlesmacher, wird zu Wieslesbetonierern, – wie gerne hätte ich Dir heute ein Liebeslied geschrieben. Es wird zur Klage.
Wer einstmals in diesem Dorf gegen die Endelbergtrasse war, schweigt angesichts der vielen Drohgebärden, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten schon erhoben wurden. Und man zieht sich hinter der „Schweizer Straße“ zurück, die Ofterdingen groß gemacht hat und beruft sich jetzt auf Fairness, wo es um die Verteilung des Drecks auf alle Anrainer geht, die bisher nicht von Durchgangsverkehr und kurzen Fahrtwegen profitiert haben, die die Kleinidustriellen mit Wildgatter sich zunutze gemacht haben, nachdem sie die eine oder andere Variante verhindert haben. Das gehört schon auch dazu, zur Wahrheit und Meinungsfreiheit, dass man das aussprechen darf. Dass das Industriegebiet Stetten dort ist, wo es ist, ist kein Zufall. Auch kein Zufall der Leserbrief des heutigen Tages im Tagblatt, der an die Moral der Mitbürger appelliert und sich auf demokratische Verfahren beruft. Soso… das liest sich gut – auch wenn das ganze Steinlachtal weiß, wie und durch welche Maßnahmen es zur Verhinderung der Kriegerdenkmalstrasse kam. Man schweigt darüber lieber. Um des lieben Friedens Willen! Das ist klug. Aber feige.

Es gehört auch dazu, einmal zu konstatieren, dass die vielfach bemühten „Anwohner“ der Straße B27 sich ohnehin schon ins Hinterland, in das neue Wohngebiet, das eine weitere Variante der vierspurig auszubauenden B27 verhindert hat, hinter den Banweg, verzogen haben. An der „Nullvariante“ leben jetzt die Schwächsten der Schwachen: schutzbedürftige Asylsuchende, die in dieser Diskussion als Anwohner vorgeschoben werden, die seit Jahrzehnten leiden. Pfui!(5) Nicht einmal eine Fußgängerampel hast Du für sie und ihre Kinder geschaffen, Ofterdingen. Wieso auch? Ins Dorf sollen sie ja nicht. Und wären diese Menschen nicht mehr dort, wohnte ja eigentlich niemand mehr da, um den es in inszenierten Gesprächen gehen kann. „Schäm Dich, Heimatdorf!“, würde mein Vater sagen, der, wenn er könnte, von diesem Friedhofsberg aus voll Zorn auf Euch schaute! (6)
Es WOHNT kaum noch jemand an der B27 – seht Euch die Fenster an, die hohl und leer wie die Herzen der Verleugner auf die Straße starren. Mit deren Ende nehmt Ihr denen, die noch von der einstigen „Lebensader“ leben, dazu das letzte Stück – das Einkommen. In Bad Sebastiansweiler der Gastronomie, in Ofterdingen den Tankstellenbesitzern und dem Schnellimbiss. Pfui darauf, dass Du in deinen Echoblasenhinterhofgesprächen „Wirtschaftskraft“, „Lärmreduktion“ und „Fairness“ vorschiebst. Lärmreduktion, die nicht gilt für ein ganzes Wohngebiet in Nehren, in Mössingen und sogar in Ofterdingen – denn in der Aspergstraße wird der Lärm sich schnell verdoppeln, wenn man dem Gutachten zur Endelbergtrasse glaubt. Und das tust du doch, Ofterdingen!
Das ist eine unbequeme Wahrheit, aber sie gehört auf den Tisch, gerade derer, die damit argumentieren, die Kritiker der Endelbergtrasse seien „unfair“. Wir wollen fair sein – und deswegen aussprechen, was verschleiert, unausgesprochen und verändert kolportiert wird. Eine unbequeme Wahrheit.
Zu dieser gehört auch, dass Du, Ofterdingen, mindestens einen Landwirt zu opfern bereit bist. Mindestens – weil viele Bauern durch die Endelbergtrasse betroffen sind, deren unmittelbare Existenz bedroht ist. Für 8 Minuten weniger Stau der Pendler, die zu bequem sind, sich ein Auto zu teilen. In jedem KFZ, das diesen Stau verursacht, sitzt ein einziger Mensch. Führen zwei in einem Gefährt, gäbe es keinen Stau. Für vorgeschobene Scheinwahrheiten, die Erleichterung der armen Geplagten suggerieren, aber ohnehin noch Jahre dauern, bis die eingetreten sein können – weil jede Baumaßnahme dauert. – Es einfacher ist, so zu tun, als wären andere nun Schuld an der Verzögerung. Versäumt hast DU in den letzten zwanzig Jahren, Ofterdingen, den Druck zu mindern. Du Dorf, das sich auf den Besuch des Dichters und Denkers Goethe beruft – und nicht zur Kenntnis nimmt, was dieser über Dich denken würde. Die Feigheit mochte Goethe nicht, denn „Der Feige droht nur, wo er sicher ist.“ Und auch das Nichtstun fand er wenig gut. Tatendrang, Kraft und Aktivität waren seine Wahlworte, Originalität, Natur und Lerchengesang(7). Er hätte Dir den Vogel gezeigt, Ofterdingen….
Das ist das eine. Das andere ist, dass erlaubt sein muss die Frage zu stellen, warum Du Deine Klagenden mundtot machst. Machtest. Machen wirst.
Soweit eingeschüchtert, bis alle schweigen – wider besseres Wissen um die Umstände des Entstehens und um diejenigen, die bedingungslos profitieren von der Endelbergtrasse.
Begrabt Euch am Fuße des Endelbergs, trübe Gedanken, gib dich dem Glauben hin, dass alles rechtens sei, Ofterdingen. Wenn die Bäume auf dem Berg fallen, abgeholzt, der Lärm der Bagger und der künftigen Vehikel sich als Schall über die Roosäcker zieht. Der stumme Schreckenschrei bleibt ungehört, Deine Früchte vergeudet, deine Äcker dahin. Ja, damit hast Du nicht gerechnet – und dann zu klagen, das wird schwer, Ofterdingen. Denn Du hast die ganze Zeit doch dafür hingehalten, applaudiert, deinem eigenen Henker….
Schau Dir morgen im Spiegel in die Augen, Ofterdingen – und sag, dass Du nichts wusstest. Dass Du nicht anders konntest.
Verantwortlich bleibst Du. Auch wenn Du schweigst.
Für jede tote Lerche.
Für jeden gebrochenen Schwur.
Für jeden gestorbenen Landwirt.
Für die zerstörte Flur.
Ich blicke traurig über den Endelberg in meine dritte Heimat. Und werde endgültig Nehrenerin. (ak)
Stilmittel
1: Anrede und Synekdoche. Ein Teil steht für etwas anderes oder etwas Ganzes, hier: Totum pro parte. Gemeint sind also nur Einzelpersonen, mitnichten aber alle Ofterdinger*innen
2: Diminutiv, zugleich Allusion auf den Necknamen „Äckerlesmacher“
3: „Früh 4 Uhr aus Tübingen. Im Grunde der Steinlach, welche rechts blieb. Tulfingen im Grunde, auf den Höhen Feldbau. Durch ein Ende von Tulfingen geht die Chaussee, links Nehren, rechts Ofterdingen, in einiger Entfernung links höhere, mit Wald bewachsne Berge, mehr Wiesewachs. Links ein altes Schloß, Wiesen und Weide. Sobald man aus dem Wirtenbergischen kommt schlechter Weg, links auf dem ganzen Wege hat man Berge, an deren Fuß sich ein Thal bildet, in welchem die Steinlach hinfließt.“
4: Hyperbel
5: Intertextuelle Anspielung auf Schillers (Zeitgenosse Goethes) Drama „Die Räuber“ – Bezugnahme auf „Pfui! Pfui über das schlappe Kastratenjahrhundert, zu nichts nütze, als die Taten der Vorzeit wiederzukäuen […]“
6: Anspielung auf den sich selbst in seiner Genialität überschätzenden Prometheus, der von seinem Vater Zeus aus, der den Berg Olymp bewohnte, zurecht gewiesen wurde.
7: Allusion zugleich auf die zum Umzug verdonnerte „Feldlerche“ als auch auf das Goethe zugeschriebene Gedicht im Volksliedton „Mailied“
Und noch der eine oder andere Neologismus, Anaphern, Metaphern, Tautologie, Personifikation, etc. —
—— (ak)